Freifunk und ISP-sein

Disclaimer:  Dieser Blogartikel spiegelt nicht die Meinung von Freifunk Bielefeld wieder

Ich gebe zu, der Blogeintrag von kinolux ist schon fast einen Monat alt, aber ich muss dazu auch mal was schreiben, da das Thema immer wieder hochkommt.  Ich gehe bewusst nicht auf alle Kritikpunkte ein, einige sind auch durchaus berechtigt, andere dagegen nicht.

Es war einmal vor einer langen Zeit, als wissenschaftliche Einrichtungen einen Weg suchten, effizient Daten untereinander auszutauschen. Zuerst passierte das mit UUCP, aber irgendwann merkte man, dass sich TCP/IP besser dafür eignete. Nur, wie tauschte man die Routinginformationen aus? Jede Einrichtung wollte natürlich eigenständig bei ihrer IT bleiben, also schuf man sogenannte autonome Systeme, die unter der Verwaltung einer Entität stehen, per Border Gateway Protocol zusammengeschlossen werden können und trotzdem eigenständig bleiben. Die Anzahl der zusammengeschlossenen autonomen Systeme wuchs und auch die Privatwirtschaft interessierte sich immer mehr dafür. Heute nennen wir diesen Zusammenschluss Internet, „Interconnected Networks“.

Die Zeit verging, immer mehr Menschen begeisterten sich für diesen Dienst und Freifunk entstand. Freifunk hat den Anspruch, ein offenes Netz zu sein, bei dem alle mitmachen können und bei dem es flache Hierarchien gibt. Ich gebe zu, das ist nicht immer einfach und daran muss noch gearbeitet werden. Technisch wird es aber wohl immer Hierarchien geben, eben weil ein einige Dinge nicht so einfach einzurichten sind und ein Knopfdruck nicht ausreicht.  Wie einfach und vorkonfiguriert gestalte ich die Firmware? Was „darf“ man alles auf der Konfigurationsoberfläche einstellen? Die Entscheidung ist da oft nicht so einfach, es soll ja auch für den gewöhnlichen „DAU“ kein Hindernis sein, aber es sollte trotzdem kein Full-Managed-Router-by-Freifunk sein. Auch mir gefallen die reinen Hotspotnetze nicht und ich hätte gerne viel mehr Richtfunkverbindungen in unserem Netz. Ein nicht verfügbares WLAN-Backbone sollte aber kein Hindernis sein, nicht auch einen Knoten aufstellen zu können, der Teil des Freifunknetzes ist. Ich persönlich bewundere da ja immer Berlin wegen ihres Berlin-Backbones.

Achja, ich wollte eigentlich über Freifunk-ISPs schreiben. Freifunk hat den Anspruch, ein offenes Netz zu sein, fragt sich nur: Offen für was? Offen für alle Teilnehmenden oder offen für alle, also auch weltweit? Entscheidet man sich für letzteres bleibt eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Freifunk sollte nicht den „Dienst Internet“ bereitstellen, sondern selber das Internet sein. Alle sollten in diesem Netz problemlos Dienste anbieten können für andere, ohne durch Techniken wie NAT daran gehindert werden zu können. Aber wenn ich einen Dienst, wie zum Beispiel einen Jabberserver, über Freifunk anbiete, warum sollte der dann nicht auch global erreichbar sein? Das Intercity-VPN löst dieses Problem nicht. Die einzig mir bekannte Lösung dafür ist derzeit IPv6 mit global routbaren Adressen. Persönlich sehe ich IPv4, wie auch einige von Freifunk Rheinland, als Legacy-IP an: Es muss noch unterstützt werden, der Fokus sollte aber auf IPv6 liegen. Dass das nicht so ganz einfach ist, sehen wir gerade am Umbau unseres Netzes in Bielefeld, einige Anwendungen und Geräte kommen nicht mit NAT64 klar, man will diese aber auch nicht aus dem Netz ausschließen. Ich war bei Freifunk-ISP? Um an global routbare Adressen zu gelangen, gibt es in Europa zwei Wege: Entweder wird man Mitglied bei der europäische Vergabestelle für Internet Ressourcen RIPE oder man sucht sich eine Organisation, die bereits Mitglied ist und einen „sponsort“, das nennt man dann „LIR-Sponsoring“. Im Gegensatz zum Förderverein freie Netzwerke e.V., die sich für ihre Internet Ressourcen einen Sponsor gesucht haben, ist der Freifunk Rheinland e.V. RIPE-Member, kann also nun auch selber für die Freifunkcommunity Sponsor spielen. Hamburg und Lübeck haben das bereits genutzt und betreiben seit kurzem eigene autonome Systeme mit eigenen IPv6-Netzen. Es gibt also viele kleine, dezentrale und selbstständige Netze, die auch global gesehen vollständig offen sind. Natürlich kommen damit auch wieder rechtliche Fragen auf: Wie wird das Abusehandling organisiert? Wie kooperiert man eventuell mit Behörden (das ob ist keine Frage, ansonsten siehts düster aus)? Da gibt es derzeit viele Ideen und es muss noch einiges diskutiert werden.

Zum Schluss möchte ich noch etwas über meine Visionen von einem wirklich offenen Freifunknetz darstellen. Ich träume von einem Netz, in dem alle gleichberechtigt teilnehmen können, in dem man seinen Pi einfach an seinen Freifunkrouter anschließt und er global erreichbar ist unter derselben Adresse. Ich träume von Netzzusammenschlüssen über Glasfaser mit Funkfeuer in Österreich, Guifi in Spanien, Ninux in Italien, den zahlreichen französischen nichtkommerziellen ISPs, die sich in der Fédération FDN organisiert haben und einem Frei-IX, an dem die Communities untereinander peeren können. Mir ist bewusst, dass das noch ziemlich lange dauert und ich es vielleicht auch nicht erleben werde, aber das ist mein Traum. Also lasst uns das Internet nicht nur als Dienst wahrnehmen, der wahrscheinlich der wichtigste im Freifunknetz ist, sondern lasst uns das verdammte Internet sein!

Tl,dr: Ich sehe Freifunk nicht nur als ein Netz mit dem „Dienst Internet“, sondern als Teil des Internets, das natürlich auch ohne Anschluss zu diesem immer noch weiterhin autonom funktionieren muss.

 

Bodems

 

Update: Nach einem interessanten Gespräch mit mwarning, möchte ich noch etwas hinzufügen. Mir geht es auf keinen Fall darum, um jeden Preis aus Freifunk einen oder mehrere ISPs zu machen. Ich könnte mir auch vorstellen, den ISP-Bereich komplett auszulagern in andere Organisationen. Hier gibt es noch viele offene Fragen und viel zu diskutieren.

Ein Gedanke zu „Freifunk und ISP-sein

  1. Ein, zwei Ergänzungen. 1. Das Internet basier auf v4. Und das wird es, nach meinem Dafürhalten, auch noch die nächsten 5 Jahre. (Vgl. DS-Lite statt v6 only, siehe v6-Handling in den Wolken, …) IPv6 ist wichtig, keine Frage, und nur mit harten Schnitten (wie Dienste nur per v6 anzubieten, sodaß v4->v6-Gateways die Norm werden und v4 das Schattendasein zu beginnen führt, welches für v6 heute noch Realität ist) kann man den Wechsel beschleunigen. Denn »das Netz« (Nutzer wie Anbieter) haben sich mit dem Status Quo der zu (nominell) 100% vergebenen IPs arrangiert …

    2. Ich bin nun 5 Jahre aus dem direkten ISP-Bereich raus, aber sofern bei v6 nicht alles auf links gezogen wurde, ist die Aussage, um »an global routbare Adressen zu gelangen, gibt es in Europa zwei Wege« falsch. Was Du beschreibst, sind »PI«-Adressen, also solche, die nicht providergebunden sind (bzw., im werde-LIR-Falle, auf die eigene LIR eingetragen); was völlig außer Acht gelassen wird ist imho der ganz normale Vorgang »ich werde Kunde eines ISPs«, wie ihn jede Firma geht. Auch dort bekommst Du IP-Adressen, gemäß Deines (nachgewiesenen) Bedarfs, zugeteilt; aus dem Bereich Deines ISPs. Wenn der Bereich groß genug ist, sollte dieser auch von mehren Stellen geroutet werden können (mit v6-Routing-Policies kenne ich mich zugegebenermaßen nicht aus). So kam, zumindest lt. RIPE-DB, der Berliner Förderverein an 2001:bf7::/32 — über IN-Berlin, die es wiederum über die LIR de.bbtt bezogen haben.Viele Wege führen zu öffentlichen v6-Adressen 😉

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